Frontex und Abschiebungen

Frontex ist die Abschiebemaschine der EU. Sie ist zunehmend daran beteiligt, Abschiebungen zu initiieren, zu organisieren, zu finanzieren und zu koordinieren, mit dem Ziel, die Zahl der Menschen, die aus den EU-Mitgliedstaaten abgeschoben werden, zu erhöhen. Wie Frontex in seinem jüngsten Evaluierungsbericht schreibt: „Im ersten Halbjahr 2021 unterstützte Frontex die größte Anzahl von Rückführungen, die jemals in einem Halbjahr stattgefunden hat.“[1] 8239 Menschen wurden abgeschoben, doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum 2020 und sogar 9 % mehr Menschen als zwischen Januar und Juni 2019, als es noch keine COVID-bedingten Reisebeschränkungen gab.[2]

Was bedeutet nun diese „Unterstützung von Rückführungen“? Frontex koordiniert unter anderem gemeinsame Abschiebungen, sogenannte Joint Return Operations (JRO). Wenn auf einem Charter-Abschiebeflug noch Plätze frei sind, werden andere EU-Mitgliedstaaten eingeladen, sich an der Abschiebung zu beteiligen, um – so Frontex – „die Kosteneffizienz von Rückführungen mit Charterflügen sicherzustellen“. Seit Inkrafttreten der EBCG-Verordnung 2019 kann Frontex auch Abschiebungen u.a. durch das Chartern von Flugzeugen einleiten. Darüber hinaus kann Frontex nun ein ständiges Korps einsetzen, das aus „Forced Return Escorts and Support Officers“ (FRESO) und Rückführungsspezialisten besteht, wobei erstere die Durchführung von Abschiebungen direkt unterstützen – eine Praxis, die 2021 zweimal in Italien und Deutschland erprobt wurde. Neben Charterflügen finanziert und nutzt Frontex auch Linienflüge zur Abschiebung von Menschen[3].

Deutschland ist der mit Abstand größte Nutzer der „Abschiebedienste“ von Frontex. Frontex ermöglicht mehrere Massenabschiebe-Charterflüge aus Deutschland pro Woche. Jeder Charterflug bedeutet Abschieberazzien, bei denen mitten in der Nacht Türen aufgebrochen werden. Es bedeutet, im Abschiebegefängnis eingesperrt zu sein. Es bedeutet, mit Handschellen in einem Flugzeug voller Polizisten zu sitzen.

Zwischen Januar und Juni 2021 wurden mehr als 90 % aller Charterabschiebungen (2.802 Personen) mit Beteiligung der Bundespolizei von Frontex bezahlt.[4] Auch im europäischen Vergleich liegt Deutschland an der Spitze: Nach Angaben von Frontex wurden im ersten Halbjahr 2021 von allen Personen, die mit von Frontex bezahlten Charterflügen abgeschoben wurden, 56 % aus Deutschland abgeschoben (2.742 Personen).[5]

Grenzprofiteure: Abschiebekollaborateure

Im Jahr 2019 zahlte Frontex rund 20 Millionen Euro an Deutschland, um 126 Massenabschiebe-Charterflüge zu ermöglichen. Die Pandemie hat die EU-Abschiebemaschinerie kaum gebremst: 2020 zahlte Frontex rund 12 Mio. € für 99 Charterflüge und im 1. Halbjahr 2021 waren es in 6 Monaten bereits 11 Mio. € für 79 Charterflüge.[6]

Diese Zahlen sind nicht zu fassen! Um dies konkreter zu machen, lassen Sie uns als Beispiel einige dieser Charterflüge nennen: Am 08. Juni 2021 zahlte Frontex an Deutschland eine Summe von 360.080 € für die Anmietung eines Charterflugzeugs, um 42 Personen nach Afghanistan abzuschieben. Oder am 23. März 2021 zahlte Frontex an Deutschland 412.150 €, um 17 Personen per Charterflug nach Äthiopien abzuschieben.[7]

Wofür gibt Deutschland die Frontex-Abschiebegelder aus? Diese Millionen landen in den Taschen einer Reihe von Abschiebefluggesellschaften, die kein Problem mit rassistischer Abschiebe-Profitorientierung haben. Zu dieser Liste gehören Unternehmen wie Privilege Style, Danish Air Transport, Enter Air, Corendon Airlines, Sundair, Titan Airways.

Polizeigewalt und gebrochener Widerstand

Sammelabschiebungen sind deutlich teurer als Abschiebungen per Linienflug. Dennoch steigt der relative Anteil der Sammelabschiebungen mit Beteiligung der Bundespolizei an allen Abschiebungen kontinuierlich an: Im ersten Halbjahr 2021 lag er bei fast 50 Prozent, im Jahr 2020 bei 37 Prozent und im Jahr 2019 bei 27 Prozent[8] Die deutschen Behörden greifen also verhältnismäßig viel häufiger auf Charterflüge zurück. Seit Frontex 2016 die Möglichkeit erhalten hat, Charterflüge für Abschiebungen aus Deutschland zu bezahlen, ist die Häufigkeit dieser Flüge stark gestiegen.

Für die Abschiebebehörden haben Sammelabschiebungen den Vorteil, dass es keine regulären freiwilligen Reisenden gibt, die Zeugen von Polizeigewalt werden könnten, und dass es viel einfacher ist, den Widerstand der Betroffenen zu brechen. Im ersten Halbjahr 2021 scheiterten 62 Abschiebungen nach Übergabe an die Bundespolizei am Widerstand der Betroffenen, darunter war jedoch keine einzige Charterabschiebung. Auch im Jahr 2020 traten die häufigsten Gründe für gescheiterte Abschiebungen, Widerstand der Betroffenen und Weigerung der Piloten, ausschließlich bei Linienflügen nach Übergabe an die Bundespolizei auf.[9]

Beteiligung an der „freiwilligen Rückkehr“

Seit 2019 ist Frontex auch an der sogenannten „freiwilligen Rückkehr“ beteiligt. Der Begriff „freiwillige“ Ausreise ist jedoch irreführend. Denn er täuscht darüber hinweg, dass viele Menschen von den Behörden unter Druck gesetzt werden, einer Ausreise zuzustimmen. Oft ist die nominelle Zustimmung zur Ausreise das Ergebnis von Ausreisedruck, Nötigung und fehlenden Alternativen. Viele stimmen schließlich zu, weil ihnen als Alternative die Inhaftierung oder Abschiebung droht[10].

Frontex kann Flugzeuge zur Unterstützung der „freiwilligen Rückkehr“ chartern (zuletzt 2020) und die Beschaffung von Reisedokumenten für die betroffenen Personen unterstützen. In der ersten Hälfte des Jahres 2021 leistete die Agentur technische Unterstützung bei der „freiwilligen Rückkehr“ von 2023 Personen auf Linienflügen. Damit machten die sogenannten „freiwilligen Rückführungen“ mehr als 61 Prozent aller von Frontex unterstützten „Rückführungsaktionen“ auf Linienflügen aus[11].

Es wird erwartet, dass die Zahl der so genannten „freiwilligen“ Rückführungen in Zukunft massiv zunehmen wird. Die EU will ein „gemeinsames EU-Rückführungssystem“ unter stärkerer Einbeziehung der Grenzschutzagentur Frontex einführen,[12] die auch bei der „freiwilligen“ Rückkehr beraten und diese verstärkt umsetzen soll. Außerdem soll die Agentur künftig in die Phase nach der Rückführung einbezogen werden[13].

Verwicklung in Push-Backs

Nach Berichten von Aktivisten, Nichtregierungsorganisationen und Medien ist Frontex auch an der Praxis der Push-backs beteiligt bzw. legitimiert diese völkerrechtswidrige Praxis durch die Zusammenarbeit mit nationalen Behörden, die solche Push-backs durchführen. Push-backs sind auch eine Form der Abschiebung, wenn auch außerhalb des rechtlichen Rahmens. In der Ägäis duldet und unterstützt die Grenzschutzagentur die systematische und illegale Zurückdrängung von Menschen auf der Flucht durch die griechische Küstenwache. Im zentralen Mittelmeer übermittelt Frontex der so genannten libyschen Küstenwache die Aufenthaltsorte von Bootsflüchtlingen, ohne sie gleichzeitig mit Schiffen von Nichtregierungsorganisationen in der Region zu teilen. Auf diese Weise ermöglicht Frontex, dass Menschen auf der Flucht zurück nach Libyen geschleppt werden, wo sie oft festgehalten, gefoltert und vergewaltigt werden.

Eine neue „Rückführungsoffensive“ in Deutschland?

Abschiebungen sind Gewaltakte von Nationalstaaten, die unsere individuelle und kollektive Freiheit einschränken. Diese Praxis dient der Aufrechterhaltung globaler Ungleichheiten, die durch (Neo-)Kolonialismus, Rassismus und Kapitalismus geschaffen wurden. Frontex ist ein zentraler Pfeiler in diesem System. Und sie wächst exponentiell, mit einem vorgeschlagenen Budget von mehr als 750 Millionen Euro für 2022.[14]

Die neue deutsche Regierungskoalition hat eine „Rückkehroffensive“ als Teil ihrer Einwanderungs- und Asylpläne versprochen, so dass es wahrscheinlich ist, dass Deutschland weiterhin ein bedeutender oder sogar ein noch größerer Nutzer der Abschiebedienste von Frontex sein wird.

Fußnoten
1. https://www.statewatch.org/media/2951/eu-frontex-return-report-first-half-2021-13405-21.pdf, S.13
2. https://www.statewatch.org/media/2951/eu-frontex-return-report-first-half-2021-13405-21.pdf, S.3/13
3. https://www.statewatch.org/deportation-union-rights-accountability-and-the-eu-s-push-to-increase-forced-removals/frontex-the-eu-s-deportation-machine/types-of-expulsion-operation/
4. https://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2021/09/KA-19_31942-Abschiebungen-Ausreisen-2021-I.pdf
5. https://www.statewatch.org/media/2951/eu-frontex-return-report-first-half-2021-13405-21.pdf, S. 5
6. Basierend auf Berechnungen auf der Grundlage von drei Kleinen Anfragen: https://dserver.bundestag.de/btd/19/182/1918201.pdf, https://dserver.bundestag.de/btd/19/270/1927007.pdf, https://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2021/09/KA-19_31942-Abschiebungen-Ausreisen-2021-I.pdf
7. https://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2021/09/KA-19_31942-Abschiebungen-Ausreisen-2021-I.pdf
8. https://dserver.bundestag.de/btd/19/182/1918201.pdf, https://dserver.bundestag.de/btd/19/270/1927007.pdf
9. https://dserver.bundestag.de/btd/19/270/1927007.pdf
10. https://www.proasyl.de/news/auf-die-harte-tour-freiwillig-ist-nicht-gleich-freiwillig/ und das Projekt „Return Watch“ von medico international https://www.freiwillige-rueckkehr.de/
11. https://migration-control.info/wp-content/uploads/2021/11/Frontex-Return-2021-Kopie.pdf
12. https://www.freiwillige-rueckkehr.de/kontext/rueckkehrfoerderung-statt-abschiebung-fragwuerdige-alternativen
13. https://frontex.europa.eu/media-centre/news/news-release/frontex-assists-in-first-joint-voluntary-return-with-a-charter-flight-W9ednO
14. Das Europäische Parlament hat nun dafür gestimmt, einen Teil dieses Budgets einzufrieren, bis „Frontex entscheidende Verbesserungen vornimmt.“ Die allgemeine Tendenz bleibt jedoch bestehen: Das Budget und das Mandat von Frontex wachsen jedes Jahr. https://ecre.org/frontex-meps-freeze-part-of-the-budget-of-the-agency-under-scrutiny-and-facing-legal-action/